Rezensionen

Die folgende Rezension erschien als Posting am 6. Dez. 2001 in der Newsgroup
de.rec.sport.budo und stammt von Dr. L. Schwarz

Also ich habe mich die letzten zwei Wochen durch Ralfs Doktorarbeit gekämpft, und ich möchte doch noch schnell eine Lanze (oder auch zwei) für das Buch brechen, denn es hat in dieser NG (und in anderen, nicht ganz so zivilisierten Foren) längst nicht so viel Beachtung gefunden, wie es eigentlich sollte. Immerhin ist es bis jetzt das erste (und AFAIK das einzige) Buch, dass sich tatsächlich “wissenschaftlich” mit dem Phänomen “Kampfkunst” auseinandersetzt. Ich weiss, es gibt viele andere, die diesen Anspruch auch haben, aber die Autoren dieser Bücher lassen sich grob gesagt in zwei große Kategorien einteilen:

  1. Entweder es sind entweder gestandene Wissenschaftler, die soeben ihre Prüfung zum Orangegurt geschafft haben, und es nicht erwarten können, den Rest der Welt mit ihren soeben gewonnenen Erkenntnissen zu beglücken;
  2. oder aber es sind gestandene Kampfkünstler, die sich zwecks besserer Überzeugungsarbeit die wissenschaftlichen Fundamente ihrer uralten Lehre (natürlich “die einzig wissenschaftlich fundierteTM) aus so seriösen Quellen wie Bild am Sonntag und Frau im Spiegel zusammengelesen haben.

Ralf hingegen hat es wirklich versucht, den ganzen Kram wissenschaftlich zu untersuchen. Seine Ausführungen sind dann auch von einem anerkannten wissenschaftlichen Gremium (s.o.) anerkannt und entsprechend honoriert worden (ebenfalls s.o.). Er hat sowohl 'ne Ahnung von Naturwissenschaft wie auch von Kampfkunst. UND er hat auch genügend selbstkritischen Geist, um über viele überlieferte Traditionen einfach mal hinwegzuspringen, ein paar wirklich interessante Fragen aufzuwerfen, und ggf. zuzugeben dass es uns öfter mal noch an adäquatem Wissen mangelt, um manche Fragen zu beantworten.

So, nun zum Buch. Der erste Teil, die Einführung, ist etwas umständlich geschrieben, und bietet eine allgemeine Einführung in das Wesen der Kampfkünste für Laien. Wir dürfen nicht vergessen, dass es sich hierbei um eine Arbeit handelt, deren Zielpublikum eigentlich die Professoren der Sporthochschulen sind. Dementsprechend wird viel Zeit und Energie aufgewendet, den hohen Herren klarzumachen, dass es tatsächlich Bewegungslehren gibt, deren Ziel es ist, anderen Menschen beträchtlichen körperlichen Schaden, bis hin zur kompletten physischen und psychischen Auslöschung des entsprechenden Subjekts, zuzufügen. Das Material aus diesem Abschnitt ist, denke ich, für alle Mitglieder dieser NG bekannt, wurde zum Teil in schweren Diskussionen eben in dieser NG angebracht und dort wohl auch zum Teil erarbeitet.

Der zweite Teil diskutiert alle möglichen technischen Aspekte der bewaffneten und unbewaffneten Kampfkunst, angefangen von Beinarbeit, über Schlag- und Trittmechanik, Körpereinsatz, Blocks, bis hin zu Waffentechniken mit Stock und Messer. Alles erfreulicherweise sehr stilneutral geschrieben, (bis auf ein paar kleine, wirklich unauffällig eingestreute Werbebanner für Avci-WT) und praktisch für jede Kampfkunst verwendbar. Ebenfalls gibt es einen kleinen aber sehr informativen Beitrag über Schutzausrüstungen, Trainingshilfen etc. etc. etc. Dieser Abschnitt ist z.T. etwas unsystematisch geschrieben (z.B. verstehe ich nicht, was der “Kampf gegen mehrere Gegner” dort zu suchen hat, wo er besprochen wird) und strotzt nur vor mathematischen Formeln und Beweisführungen, die man zum Glück nicht nachvollziehen muß, um den Sinn des geschriebenen zu verstehen. Im Gegensatz zu vielen Autoren, die bisher versucht hatten den Kampf aus medizinischer, physiologischer oder gar psychologischer Sicht zu erklären, schmeisst Dr. R.P. dies alles über Bord und betrachtet die ganze Chose als guter Dipl.-Ing. einfach unter rein mechanischen Gesichtspunkten. Für mich, der ich es gewohnt war, alles aus “anatomischer” Sicht zu sehen eine zuerst ungewohnte, danach aber erfrischend abwechslungsreiche Sicht der Dinge. Trotzdem alles fundiert, alles mit gesundem Menschenverstand geschrieben, und so gut wie kein Blödsinn darunter (heutzutage eine komplette Rarität unter den MA-Büchern).

Gut, der Dritte Teil ist sozusagen der “experimentelle” Teil, in der R.P. (damals noch ohne Doktor) einfach mal einige Leute aus dem Avci-WT, Kickboxen und sogar einen Arnisador mal gegen eine Messapparatur hat schlagen lassen. Eine Untersuchung, die den meisten Laienlesern zwar nicht so viel bringen wird, aber nun mal zur Erlangung einer Doktorwürde so ziemlich ein muss ist. Wenn man sich die Mühe macht, die Kurven auseinanderzuklamüsern kommen sogar ein paar ganz interessante Einsichten raus, zumal Ralf nicht gerade einen Doktorgrad auf dem Gebiet der Datenverschleierung gewonnen haben dürfte ;-) (Ich tippe auf Versuchspersonen 1 und 7 Kickboxer, VP 8 Arnis, der Rest A-WT, unter ihnen VP 4 ziemlich hochgraduiert) Mir jedenfalls hat dieser Teil am meisten Spaß gemacht, da er mehrere meiner in letzter Zeit gewachsenen Vorurteile bestätigte. Zu bemängeln ist lediglich die relativ kleine Anzahl der getesteten Leute.

Die Arbeit endet mit einem Glossar, ein paar mathematischen Anhängen und dem üblichen Blabla der Danksagungen, wobei hier angemerkt werden muss, dass wir alle (nämlich “die Mitglieder der NG de.rec.sport.budo”) extra in den Danksagungen erwähnt werden, wegen der furchtbaren, pardon fruchtbaren Diskussionen. Jeder, der die endlosen Pfeifer-Bojak Diskussionen voller Formeln tatsächlich mal verfolgt haben sollte, weiss, wovon ich rede. Ingo B. wird zwar nicht namentlich erwähnt, aber ich nehme an, unter “Widerspenstigkeit, Uneinsichtigkeit und Argumentationsfreude” .....ähhhh....;-)) (Sorry Ingo ;-)))

Insgesamt, ein Buch dass zwar den einzelnen möglicherweise nicht zum besseren Killer machen wird, aber definitiv ein Buch auf dem Weg, die Kampfkünste aus dem jetzigen Morast des Aberglaubens in ein geordnetes Weltbild zu bringen. Für Lehrer der Kampfkünste eigentlich empfehlenswert.

BTW: Ralf hat mich nicht dafür bezahlt, sein Buch zu loben. Jedenfalls noch nicht ;-))). Spenden werden aber gerne entgegengenommen.

Alles Gute

Ludwig