Bester Kämpfer - bester Stil?

Nach dem Training, wenn dem Körper verlorenes Wasser, Mineralien und andere Spurenelemente (oft in Alkohol gelöst) zurückgegeben werden, dann brechen die Diskussionen wieder los:
Was macht jemanden zum guten Kämpfer? Der Stil oder der Mann?


Ein beliebtes Problem ...

“Der Stil XY ist der beste Stil!” Wer das behauptet, erhält regelmäßig verbale Prügel, was vielleicht daran liegt, daß diese Aussage in ihrer Allgemeinheit genauso falsch ist, wie die Aussage “XY ist das beste Auto”. Es fehlt nämlich die genaue Definition, für welche Anwendungsfälle XY nun das Beste sei.

In den verbalen Auseinandersetzungen wird dann auch gerne der Kraftmeier von nebenan hervorgeholt. Der ist im Hauptberuf Metzger, spielt American Football in der Bundesliga, hat nie Kampfsport gemacht und entscheidet dennoch die meisten Schlägereien für sich, insbesondere die ‘asiatischen Fuzzis’ haut er mit besonderer Freude aus den Socken.

Häufig wird dann ein triviales Argument nachgeschoben: “In einem Kampf treten zwei Kämpfer gegeneinander an, nicht zwei Stile”. Dies ist durchaus richtig, denn erfahrungsgemäß wird bei einem Kampf nicht der Stil wie ein ‘deus ex machina’ vom Theaterhimmel fallen, um anstelle seiner Adepten zu kämpfen.

Aufgaben von Stil und Kämpfer

Die Lösung der Frage, ob es am Stil oder am Kämpfer liegt einen ist eigentlich ganz einfach, wenn man sich nach den Funktionen umsieht:

  • Was ist die Aufgabe des Kämpfers?
  • Was ist die Aufgabe eines Stils?

Ganz klar, der Kämpfer muß den mechanischen Teil des Kampfes erledigen. Dazu braucht er natürlich gewisse körperliche und geistige Voraussetzungen, die teilweise gar nichts mit Kampfkunst und Kampfsport selbst zu tun haben, z.B. Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit, Reaktionsvermögen, Intelligenz.

Diese Eigenschaften sind trainierbar, aber da sie auch von den persönlichen Voraussetzungen abhängen, ist der erforderliche Trainingsaufwand und das erreichbere Maximum unterschiedlich und begrenzt.

Und der Stil? Der Stil ist eigentlich ein Lehr- und Unterrichtssystem, welches Menschen für einen bestimmten Zweck + so gut wie möglich + so schnell wie möglich ausbilden soll - auf den Kampf nach bestimmten Regeln oder auf den Kampf ganz ohne Regeln. Dazu gehört:

  • Ein Unterrichtsprogramm, was alles enthält, was zum Erlernen des Stils notwenidg ist.
  • Regelmäßige Überprüfungen, um festzustellen, ob Fortschritte beim Erlernen des Stils
  • Ein Trainer, der Erfahrung in der Vermittlung der Lehrinhalte hat und die besonderen Schwierigkeiten seiner Schüler erkennt und beseitigt.
Das Ziel

Jeder Stil hat ein Ziel. Das Ziel heißt in der Regel ‘Sieg’ - aber Sieg unter welchen Bedingungen?

In manchen Stilen ist es der KO im Wettkampf nach bestimmten Regeln. Aber jeder Stil hat andere Regeln.
In der Selbstverteidigung geht es um den Sieg ohne Regeln. Alles ist erlaubt.

Doch schon hier haben die meisten Diskutanten ein Problem, der vielleicht auch mit der üblichen Werbung zusammenhängt: Kaum ein Stil will auf das Attribut ‘Selbstverteidigung’ verzichten. Die meisten Trainer und Schüler glauben fest daran, daß auch ihr Stil zur Selbstverteidigung taugt. Immer wieder wird gerne der Satz “Alle Stile sind gleichgut, es kommt nur auf den Kämpfer an” formuliert, der allerdings durch regelmäßige Widerholung weder intelligenter noch richtiger wird.

Nehmen wir einmal ein Beispiel aus den Naturwissenschaften:
Mathematik wird als die wichtigste ‘Hilfswissenschaft’ aller Naturwissenschaften bezeichnet.

Kein Physiker, Ingenieur oder Informatiker ist schlecht in Mathematik, im Gegenteil, ohne fundierte mathematische Kenntnisse und Fähigkeiten lassen sich viele Probleme nicht lösen. Aber kein Physiker, Ingenieur oder Mathematiker wird behaupten ‘Alle Naturwissenschaften sind für mathematische Probleme gleichgut, es kommt nur auf den Naturwissenschaftler an, ob er ein mathematisches Problem lösen kann’.

Auf die Kampfsportarten übertragen entspräche dies der Behauptung “Alle Studiengänge sind gleichgut, um Arzt zu werden. Es kommt nur auf den Akademiker selbst an”. Was es bedeuten würde, wenn Jursiten sich über Blinddarm-Patienten hermachen würden, kann sich jeder denken.

Fazit

Bei der Diskussion um die Frage, ob der Sieg mehr vom Kämpfer oder vom Stil bestimmt wird läßt sich eindeutig sagen: Es hängt von beidem ab.

  • Ein guter Kämpfer, der Ringen (=Stil) trainiert, um Boxkämpfe (=Ziel) zu gewinnen, kann gewinnen, wird es aber wahrscheinlich nicht.
  • Ein schlechter Kämpfer, der Boxen (=Stil) trainiert, um beim Boxkämpfe (=Ziel) zu gewinnen, kann gewinnen, wird aber meistens auch verlieren.
  • Wenn sowohl der Kämpfer gut ist und auch der Stil zum Ziel paßt, dann hat der Kämpfer eine realistische Chance, zu gewinnen.

Zur Selbstverteidigung ist zu sagen, daß es Stile gibt, die besser für das Erlernen einer brauchbaren SV geeignet sind, als andere, was den Wert anderer Stile nicht mindert. Wer olympisches Gold gewinnen will, kommt mit einem SV-Stil nicht sehr weit, mit Judo, Ringen, Boxen, Fechten und Taekwon-Do sind die Chancen da wesentlich besser.